Im Blickpunkt: Typische  Fehlerquellen in der Unternehmenspraxis

Von Manuel Sack und Zekira Fuest (Erstveröffentlichung im Restructuring Business Magazin, 4/2023)

Die Einleitung eines Restrukturierungs- oder Insolvenzverfahrens bringt vielfältige Herausforderungen für das betroffene Unternehmen mit sich. Die Verunsicherung in der Mitarbeiterschaft, aber auch häufiger bei der Geschäftsleitung verwundert nicht. Auch wenn in beiden Verfahren zunächst finanzielle Aspekte im Vordergrund stehen, bergen die Reorganisationsmöglichkeiten, die sich unmittelbar ergeben, große Chancen für die betroffenen Unternehmen.

Die auf die Restrukturierung spezialisierten Fachleute hinterfragen die Abläufe eines Unternehmens und durchleuchten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund notwendiger Einarbeitung in die Strukturen des betroffenen Unternehmens, die internen Abläufe und Zuständigkeiten. Hierbei werden regelmäßig diverse Schwachstellen aufgedeckt, die bei einem unter normalen Umständen laufenden Betrieb häufiger nicht hinterfragt werden. So geht die Geschäftsleitung in der Regel davon aus, dass die standardisierten Abläufe alle notwendigen Vorkehrung berücksichtigen und die zuständigen Mitarbeiter bei bestehenden Abweichungen notwendige Maßnahmen ergreifen. Den Verantwortlichen in Buchhaltung, Vertrieb- oder IT eines Unternehmens, die häufiger mehrere Generationen von Geschäftsleitern begleiten durften, wird in der Regel – und meistens zurecht – großes Vertrauen der Geschäftsleitung entgegengebracht und somit die eigene Organisation nicht hinterfragt.

Die Verfasser stellen jedoch in ihrer Tätigkeit als Sanierungsberater und Insolvenzverwalter fest, dass die Durchleuchtung der internen Prozesse und die Ergreifung notwendiger Korrekturmaßnahmen letztlich zu erheblichen finanziellen Auswirkungen führen kann.

Nachstehend werden einige dieser Beispiele aufgeführt:

Debitorenbestand/Inkasso

Eine der ersten Unterlagen, die sich ein Restrukturierungsberater oder Insolvenzverwalter aushändigen lässt, ist die aktuelle OPOS-Liste. Hierbei fallen bereits die ersten Problemfälle ins Auge: die Debitorenbuchhaltung ist nicht auf aktuellem Stand geführt, es existiert kein professionelles Inkassomanagement: die Kunden werden gar nicht, zu spät oder ohne Nachdruck gemahnt.

Ein wesentliches Problem ist die fehlende Kommunikation zwischen der Buchhaltung und dem Vertrieb. Wenn der Vertrieb lediglich verkauft und die Buchhaltung lediglich bucht, ergeben sich Risiken und häufig erhebliche finanzielle Einbußen für das betroffene Unternehmen. Ein Zusammenspiel auch mit dem Beschwerdemanagement, dem Kundendienst oder anderen sich unmittelbar anschließenden Abteilungen spielt hierbei eine große Rolle.

Buchhaltung

Neben den Aktiva sind die Verbindlichkeiten, denen das Unternehmen ausgesetzt ist, von großem Interesse und werden von Sanierungsfachleuten im gleichen Atemzuge erfragt. Die bei der Buchhaltung angeforderte Kreditorenliste wird häufiger mit dem Hinweis ausgehändigt, dass Buchhaltungsrückstände bestehen. Neben möglichen Personalengpässen können unterschiedliche Gründe für das Bestehen von Buchungsrückständen vorliegen.

Das Freigabesystem bei den eingehenden Rechnungen kann unvorteilhaft organisiert sein. Einige Beispiele sind: die eingehende Rechnung wird mit der zuvor erfolgten Bestellung nicht abgeglichen; der Vorgesetzte, der die Rechnung freigibt, war im Bestellprozess nicht eingebunden und gibt diese im guten Vertrauen auf die Richtigkeit frei; mehrere Beteiligte sind beim Bestellvorgang involviert gewesen, so dass die Freigabeprozesse viel Zeit in Anspruch nehmen.

Vertrieb/Auftragskalkulation

Das Kernbedürfnis eines jeden Mitarbeiters der Vertriebsabteilung ist das Verkaufen der angebotenen Dienstleistung oder Ware. Eine zielgenaue Betrachtung der Vertriebsauswertung sollte jedoch hierbei nicht vernachlässig werden: Welchen Umsatz erziele ich pro Kunde, welche Reklamationsquote besteht, wie ist das Zahlungsverhalten des Kunden, welche Zahlungsziele sind mit dem jeweiligen Kunden vereinbart?

Ein großes Risiko besteht, wenn mit dem Kunden lediglich geplante Umsätze erörtert werden, eine verbindliche Order jedoch nicht erfolgt. Dies kann dazu führen, dass das Unternehmen hohe Vorleistungen erbringt, ohne dass dies zu einem Umsatz beim Kunden führt.

Eine permanente Nachverfolgung von Reklamationen und eine detaillierte Auswertung derselben auch in Abstimmung mit Einkauf und Produktion sind wesentliche Bausteine für eine erfolgreiche Kundenbeziehung. Befürchtet der Kunde, dass auch bei künftigen Lieferungen Mängel vorliegen und wird diese Verunsicherung nicht durch eine gute Kundenkommunikation beseitigt, wird der Kunde möglicherweise die Geschäftsbeziehung beenden oder das Geschäftsrisiko gegebenenfalls anteilig verlagern.

Aber auch die Aufrechterhaltung der Kundenbeziehung, ohne eine Untersuchung, inwiefern diese für den Betrieb sinnvoll ist, muss hinterfragt werden. Häufig werden langjährige Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten, obwohl diese aus unterschiedlichen Gründen für das Unternehmen nicht mehr vorteilhaft sind. So erfolgt zum Beispiel keine sich an der Marktlage orientierende Preisanpassung. Sind die eigenen Kosten gestiegen, ohne dass eine Durchleitung an den Kunden erfolgt? Wurden die Aufträge so eng kalkuliert, dass die erzielte Marge keinerlei Spielraum für unvorhergesehene Zusatzkosten zulässt? Hängt die hohe Reklamationsquote eher mit der Kundenorganisation oder den Kundenanforderungen zusammen?

Insgesamt bedarf die Auftragskalkulation einer laufenden Anpassung. Sehr oft stellen die Verfasser fest, dass die betroffenen Betriebe mit veralteten Kalkulationswerten arbeiten.

Bei Betrieben, die ihren Kunden Retouren ermöglichen, ist die Einrichtung einer gesonderten Retourenabteilung zwingend. Hier sollte überwacht werden, ob und in welchem Zustand die Ware retourniert worden ist. Insbesondere im Einzelhandel besteht das Risiko, dass die Einzelhandelskunden die für die Retoure vorgesehene Ware durch Belastungsanzeigen beim Rechnungsausgleich in Abzug bringen, die Ware jedoch den ausliefernden Betrieb nicht erreicht. Insbesondere besteht die Gefahr dann, wenn der Einzelhandelsbetrieb die Erstattung an die eigenen Kunden vornimmt und der Endkunde angewiesen wird, die Ware an den Lieferanten zurückzusenden, ohne dass hier eine engmaschige Kontrolle erfolgt.

Da der Einzelhandelsbetrieb die gezahlte Summe bei seinem Lieferanten in Abzug bringt, besteht kein Eigeninteresse, die Rücksendung nachzuverfolgen. Sofern der Lieferant keine eigene Überwachung installiert, verringert sich der Umsatz, ohne dass er im Gegenzug die verkaufte Ware zurück erhält.

Warenwirtschaftssystem

Ein gut funktionierendes Warenwirtschafssystem und damit verbunden eine enge Verzahnung von Vertrieb, Einkauf und Produktion sind grundlegende Elemente eines erfolgreichen Betriebs.

Produktions- und Einkaufsplanung müssen sich an tatsächlichen Kundenaufträgen orientieren. Erfolgen Einkauf- und Produktionsplanung auf nicht hinreichend verifizierten Absatzhoffnungen des Vertriebs, besteht das Risiko eines unkontrollierten Lageraufbaus mit erheblicher Kapitalbindung. Häufiges Indiz für in diesem Bereich nicht optimale Strukturen sind steigende Vorräte, Anmietung externer Läger und Überalterung des Vorratsbestands. Gerade bei saisonalen Produkten mit kurzen Produktzyklen bestehen erhebliche Abschreibungsrisiken.

Um dem entgegenzuwirken sollte eine permanente Analyse der Umschlagshäufigkeit der Roh-, Hilfs und Betriebsstoffe sowie Warenvorräte erfolgen. Ein Augenmerk sollte auch auf die Entsorgung/den Abverkauf von im regulären Geschäftsgang nicht mehr verwertbarer Vorräte gerichtet werden.

Personal

Bei einem sich in Krise befindlichen Unternehmen erfolgt im Personalbereich eine falsche oder zumindest nicht konsequente Schwerpunktsetzung. Insbesondere in Zeiten von Fachkräftemangel konzentrieren sich viele Betriebe mehr auf die Mitarbeiterakquise und Personalhaltung als auf mögliche Personalanpassungen. So werden zum Beispiel längst beschlossene Personalreduzierungen weiter verschoben und die sogenannten Low-Performer ohne Konsequenzen weiter beschäftigt. Nicht zu vernachlässigen ist jedoch der mögliche Motivationsabbau bei zuverlässigen, treuen und unternehmensorientierten Mitarbeitern, wenn Kolleginnen und Kollegen, die nicht immer im Sinne des Unternehmens handeln, keinerlei Konsequenzen befürchten müssen.

Die Verfasser werden im Rahmen ihrer Tätigkeit als Krisenberater sehr oft aus dem Kreis der Belegschaft angesprochen, ob man denn nun die längst fälligen Personalanpassungsmaßnahmen in Angriff nehmen würde. Auch wenn es sich um ein sehr sensibles Thema handelt, sollte dieses nicht totgeschwiegen werden.

Controlling

Als Instrument der Unternehmenssteuerung ist das Controlling auch für Beratung in Krisensituationen von extremer Bedeutung. Die mit dem Controlling befassten Mitarbeiter sollten schnellstmöglich interviewt werden. Oft wird festgestellt, dass seitens des Controlling bereits im Vorfeld auf Schwachstellen des Unternehmens hingewiesen wurde, die identifizierten Korrekturmaßnahmen jedoch nicht konsequent oder gar nicht umgesetzt wurden. Eine Krisensituation bringt jedoch auch an dieser Stelle Chancen mit sich, da alle Betroffenen des Unternehmens wissen: „Es ist nicht mehr kurz vor 12, es ist 12!“.

Fazit: Eine Krisensituation sollte Anlass sein, alle bestehende Organisationsstrukturen auf den Prüfstand zu stellen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse können große Chancen für das Unternehmen beinhalten.

Die Verfasser stellen fest, dass die betroffenen Betriebe oftmals nach dem erfolgreichen Abschluss eines Restrukturierungs- oder Insolvenzverfahrens berichten, dass die zu Beginn des Verfahrens bestehenden Unsicherheiten und Befürchtungen zum Teil unberechtigt waren. Als Betroffener habe man sich nicht vorstellen können, welche Vorteile die Durchführung eines solchen Verfahrens auch für die Anpassung von Organisationsstrukturen mit sich bringen kann.

Die aufgeführten Punkte stellen lediglich einen kleinen Auszug dar. Auch ohne sich in einer Krisensituation zu befinden, sollte jeder Betrieb die eigene Organisation unter den dargestellten Gesichtspunkten durchleuchten. Möglicherweise führt dies dazu, dass eine Krise vermieden werden kann.

Vollständige Ausgabe Restructuring Business Magazin hier downloaden.

Die Autoren:

Zekira Fuest, Dipl. Wirtschaftsjuristin, Hannover

Manuel Sack, Rechtsanwalt und Partner, Hannover