Autoren: Prof. Dr. Christoph Thole und Dr. Christian Holzmann (Erstveröffentlichung in Der SanierungsBerater Ausgabe 01/2024)

Es dürfte eine häufige Konstellation in der Praxis sein: Innerhalb eines Konzernverbunds übernimmt eine Gesellschaft dauerhaft die Aufgabe, als „Werkbank“ im Konzern die vertriebenen Leistungen oder Waren herzustellen. Diese Gesellschaft stellt die notwendigen Arbeitnehmer ein und fungiert insoweit als Arbeitgeberin, wird aber im Übrigen nicht selbst werbend tätig, sondern erzielt lediglich Innenumsätze und ist im Übrigen ganz von der konzerninternen Finanzierung abhängig. Die Vermarktung der Produkte und den gesamten Vertrieb nach außen übernimmt eine Vertriebsgesellschaft, meist eine entsprechende Obergesellschaft im Konzernverbund. Dazu schließen diese (hier sog.) „Vertriebsgesellschaft“ und die (hier sog.) „Arbeitgebergesellschaft“ entsprechende Geschäftsbesorgungs- und/oder Austauschverträge, mithin Intercompany-Verträge, in denen der Arbeitgebergesellschaft für die Erbringung der Leistungen ein meist handelsbilanziell an die Gewinn- und Verlustrechnung angeknüpfter Kostenersatz samt einem Gewinnzuschlag nach Maßgabe bestimmter Berechnungsmethoden, z. B. nach der Cost-Plus-Methode, zugesagt wird.

Das Problem des Insolvenzgeldeffekts

Solange der Konzern gesund wirtschaftet, werfen diese Leistungsbeziehung und die Abwicklung dieser Verträge in der Regel wenig Probleme auf. Rutschen beide Konzerngesellschaften allerdings ins Insolvenzverfahren, stellt sich die Frage nach dem Schicksal des entsprechenden Vertrags und nach dem weiteren Fortbestand der entsprechenden Berechnungsgrundlage für den Leistungsaustausch zwischen den Gesellschaften. Das betrifft weniger das eröffnete Verfahren als vielmehr das für eine Sanierungsperspektive besonders neuralgische Eröffnungsverfahren. Es droht ein Konflikt mit insolvenzrechtlichen Verfahrens- und Verteilungsgrundsätzen.

Das betrifft insbesondere den Grundsatz der rechtlichen Trennung der Massen bei Konzernverbünden. Die Bildung einheitlicher Masse ist unter keinen Umständen statthaft, auch nicht bei Vermögensverflechtung. Eine substantive consolidation kennt das deutsche Insolvenzrecht nicht. Jedes Verfahren ist mit Blick auf die Mehrung der jeweiligen Masse zu führen. Insoweit ist von dem Grundsatz auszugehen, dass im Insolvenzverfahren die Massen getrennt zu betrachten sind und die rechtliche Selbstständigkeit der einzelnen Insolvenzverfahren und folglich auch der jeweiligen Eröffnungsverfahren zu wahren ist. Das mit § 1 InsO verknüpfte Ziel der bestmöglichen, gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung ist in den jeweiligen Verfahren zu verfolgen. Die insolvenzrechtlichen Vorgaben für das eröffnete Verfahren gelten zwar während eines Eröffnungsverfahrens noch nicht in vollem Umfang, wohl aber ist anerkannt, dass die insolvenzrechtlichen Wertungen eine gewisse „Vorwirkung“ auf das Eröffnungsverfahren entfalten. Das ist insbesondere für das Schutzschirmverfahren schon deshalb anzuerkennen, weil in einem solchen Verfahren vor Eröffnung die maßgeblichen Weichen für den angestrebten Insolvenzplan gestellt werden. Es gehört zu den Grundpflichten, die Masse bestmöglich zu verwerten sowie die Masse zu erhalten und zu sichern. Bereits im Eröffnungsverfahren hat der vorläufige (Eigen-)Verwalter die Pflicht gegenüber den Insolvenzgläubigern, die vorhandene Haftungsmasse nach Möglichkeit zu erhalten und vermeidbare Masseminderungen gemäß dem Wirtschaftlichkeitsgebot zu unterbinden. Zur Masseverwaltungspflicht gehört auch ein allgemeines Wert- mehrungsgebot. Es gibt auch eine Pflicht zur optimalen Verfahrensabwicklung. Der vorläufige Sachwalter hat die Einhaltung der vorgenannten Pflichten zu überwachen und darauf hinzuwirken.

Wie verhält sich das Trennungsgebot zu der Struktur von entsprechenden Cost-Plus-Verträgen?

Die Thematik ist bisher wenig ausgeleuchtet. Zentral (aber nicht ausschließlich) betrifft es insbesondere den Insolvenzgeldeffekt. Auf der Ebene der Arbeitgebergesellschaft erfolgt im Eröffnungsverfahren regelmäßig eine Insolvenzgeldvorfinanzierung, denn diese Gesellschaft ist die maßgebliche Arbeitgeberin; es fallen also keine liquiditätswirksamen Nettolohnauszahlungen auf der Ebene dieser Gesellschaft an. Rein buchhalterisch und formal bleibt naturgemäß die Arbeitgebergesellschaft mit den arbeitsvertraglichen Zahlungspflichten gegenüber den Arbeitnehmern belastet, doch wirtschaftlich und jedenfalls im Hinblick auf den Liquiditätsabfluss wird die Gesellschaft im Umfang der Insolvenzgeldvorfinanzierung erst später durch die Quotenforderung der Bundesagentur für Arbeit (BfA) belastet.

1. Grundsatz: Fortbestand von Intercompany-Verträgen im Eröffnungsverfahren

Was den Vertrag angeht, ist das Erfüllungswahlrecht des § 103 InsO i.V. m. § 279 InsO zwar nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich um einen Gesellschaftsvertrag handelte, denn der Vertrag ist nicht genuin gesellschaftsvertraglicher Natur, sondern betrifft die Leistungsbeziehungen zwischen verbundenen Gesellschaften. Das Verwalterwahlrecht greift aber erst ab Verfahrenseröffnung. Auch bei gesellschaftsvertraglichen bzw. konzernrechtlichen Verlustübernahmepflichten wird davon ausgegangen, dass (erst) ab Verfahrenseröffnung die Verlustübernahmepflicht beendet ist bzw. der Unternehmensvertrag von beiden Seiten gekündigt werden kann. Der Vertrag besteht daher zunächst fort. Er verliert nicht schon mit Eintritt in das Eröffnungsverfahren seine Wirksamkeit oder Gültigkeit, sofern er nicht nach Maßgabe möglicher weitergefasster vertraglicher Kündigungsrechte zulässig gekündigt wird.

Dieser Grundsatz des unveränderten Fortbestands von entsprechenden Intercompany-Verträgen im Eröffnungsverfahren ist auch keineswegs gering zu schätzen, weil dies sowohl dem zivilrechtlichen Bestand des Vertrags entspricht als auch insolvenzrechtlich im Eröffnungsverfahren eine umfassende Anpassung von Verträgen weder geboten noch gestattet ist. Dass dann reflexartig und je nach Ausgestaltung der Intercompany-Beziehungen ein Insolvenzgeld(vorfinanzierungs)effekt bei der Arbeitgebergesellschaft eintritt, der (nur) den Gläubigern dieser Gesellschaft zugutekommt, ist grundsätzlich hinzunehmen.

Im Übrigen ist es grundsätzlich auch denkbar, dass die Arbeitgebergesellschaft ihre Leistungen extern auf dem Markt zu marktgerechten Preisen anbieten würde. Dann ist es auch angezeigt, dass sie eben diese Preise erzielt; stets vorausgesetzt, ein solches Anbieten am Markt wäre in diesem Stadium unproblematisch möglich.

Unproblematisch ist es auch, wenn die Liquidität ausreichend ist, um das vertraglich vorgesehene Regime der Intercompany-Beziehungen weiter aufrechtzuhalten. Schwierig wird es aber, wenn ersichtlich eine Gesamtsanierung der Gruppe nicht möglich oder gefährdet sein wird, weil und sofern die Vertriebsgesellschaft nicht hinreichend Liquidität hat, um den Vertrag unverändert fortzuführen. Will man für diese Fälle nun annehmen, die Kostenerstattungspflicht der Vertriebsgesellschaft gegenüber der Arbeitgebergesellschaft bestehe uneingeschränkt fort, hat dies den für die Sanierungsstrategie nachteiligen Effekt, dass bei dieser – im Konzern meist dominanten und zentralen – Gesellschaft unwiederbringlich Liquidität abfließt, die dann im Ergebnis „nur“ dazu dienen würde, die Quotenerwartung der Gläubiger der Arbeitgebergesellschaft, d. h. meist allein jene der BfA, zu verbessern und das dortige Sozialplanvolumen zu erhöhen. Der Insolvenzgeldeffekt käme vollständig der Arbeitgebergesellschaft zugute. Gleichzeitig könnte der Liquiditätsentzug auf der Ebene der Vertriebsgesellschaft die Sanierung des gesamten Verbunds gefährden.

Umgekehrt: Würde man annehmen, die Vertriebsgesellschaft müsste gar keine Erstattung von Lohnanteilen an die Arbeitgebergesellschaft mehr vornehmen, würde de facto der Insolvenzgeldeffekt vollständig an die Vertriebsgesellschaft durchgereicht, letztlich zu Lasten der BfA und anderer Gläubiger der Arbeitgebergesellschaft, die ihre (Erstattungs-)Forderungen nur gegen eine entsprechend geringer ausgestattete Masse durchsetzen könnten. Eine Belastung der Vertriebsgesellschaft könnte dann im späteren eröffneten Verfahren – wenn überhaupt – in dem Umfang erfolgen, in dem die Arbeitgebergesellschaft wiederum (wohl in der Regel als Insolvenzforderungen zu qualifizierende) Erstattungsansprüche bei der Vertriebsgesellschaft nach Maßgabe des Intercompany-Vertrags geltend machen könnte; sie ginge also jedenfalls nicht über die Quotenzahlung an die BfA hinaus.

Rein faktisch könnte zwar die Arbeitgebergesellschaft Druck auf die Vertriebsgesellschaft ausüben, indem sie ihre Leistungen gegenüber der Vertriebsgesellschaft zurückhält. Doch wäre dies ein gefährlicher und haftungsträchtiger Weg, weil die Arbeitgebergesellschaft damit der Sanierung den Todesstoß versetzen könnte, wenn und weil doch das Wohl und Wehe aller beteiligten Gesellschaften miteinander verbunden ist. Die Zurückhaltung schadete daher den Interessen dieses eigenen Verfahrens. Darüber hinaus stellt sich oft das rein praktische Problem, dass die handelnden Personen auf beiden Seiten dieselben sind; jedenfalls die Person des vorläufigen Insolvenzver- oder Sachwalters ist oft identisch.

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Autor:

Dr. Christian Holzmann, Partner und Rechtsanwalt, Düsseldorf